Zurück Olbers-Planetarium Die Armillarsphäre
Eine Weltkugel auf dem Rathaus

Weithin sichtbar - doch selten wahrgenommen - das ist das Schicksal des Weltmodells auf dem sogenannten "Neuen Rathaus", den Anbauten an das Renaissancegebäude aus den Jahren 1910 - 1913. Gabriel von Seidl aus München war der Architekt und viele Objekte stammen wie er aus München. Aber die Herkunft der Weltkugel ist unklar.
Sie befindet sich auf einem Giebel, der zum Wochenmarkt zeigt, und wird von zwei Figuren (Nereiden) getragen. Mehr ist ohne Fernglas kaum auszumachen. Erst mit starker Vergrößerung sind Details zu erkennen. Auf den ersten Blick erinnert die Kugel an sogenannte Armillarsphären.

Hierbei handelt es sich um Weltmodelle aus Ringen (daher der Name), die seit der Antike bis ins Mittelalter gebräuchlich waren. Auch in China kannte man diese astronomischen Hilfsmittel, wobei unklar ist, ob sie in China unabhängig vom westlichen Kulturkreis erfunden wurden, oder ob sie durch die Eroberungen von Alexander dem Großen importiert wurden.

Armillarsphären spiegeln das Ptolemäische Weltbild wider. Im Zentrum steht die Erde und es gibt u.a. Ringe für Horizont, Himmelsäquator, Tierkreis, Wendekreise und Meridian. Zwar sind sie interessant anzusehen, aber nur Eingeweihte können sie bedienen. Zu Unterrichtszwecken werden die Armillarsphären noch heute benutzt, da sie die komplexen Bewegungen an der Himmelskugel, so wie sie von der Erde aus zu sehen sind, gut veranschaulichen.

Mit Beginn der Renaissance kamen die Armillarsphären jedoch aus der Mode. Denn nun wurde der Himmel so dargestellt, wie es dem neuen Weltbild entsprach: Im Mittelpunkt befindet sich die Sonne, um die die Planeten einschließlich der Erde kreisen. Solche Modelle nennt man Tellurien oder Planetarien. Bald wurden die Modelle um die Entdeckungen, die mit dem Fernrohr gemacht wurden, ergänzt. Galilei entdeckte die Monde des Jupiters und auch der Ring des Saturn blieb nicht lange verborgen. Damit entstanden hochkomplexe Modelle wie zum Beispiel die "Leidener Sphäre", bei der die Bewegungen und Bahnneigungen aller damals bekannten Planeten und deren Monde richtig wiedergegeben werden.

Um was handelt es sich nun auf dem "Neuen Rathaus"? Deutlich sind das Band der Ekliptik mit den Tierkreiszeichen Steinbock und Schütze zu erkennen. Die Ringe symbolisieren Horizont, Meridian und vielleicht die Wendekreise. Also eine klassische Armillarsphäre? Aber, kaum sichtbar im Innern, sind weitere Ringe um eine große Kugel zu sehen. Die Kugel könnte natürlich die Erde sein. An den Ringen befinden sich weitere Kugeln, um die wieder Ringe umlaufen. Das erinnert an ein Planetenmodell gemäß des Kopernikanischen Weltbildes. Der äußerste Planet hat einen breiten Ring - bei ihm soll es sich wohl um Saturn handeln. Uranus, Neptun und Pluto fehlen, also ist hier ein Weltbild dargestellt, wie es bis zur Entdeckung des Uranus durch F.W. Herschel im Jahre 1781 gültig war. Der zweite Planet von außen hat drei Ringe, d.h. drei Monde. Beim Jupiter waren aber seit Galilei bereits vier Monde bekannt. Sollte ein Mond verlorengegangen sein? Der nächste Planet hat zwei Monde - wie der Mars. Die Marsmonde Phobos und Deimos sind jedoch nur mit einem solchen Teleskop zu sehen, mit dem auch der Uranus sichtbar wäre. Der innerste Planet hat einen Mond - also die Erde. Nun wird klar, daß es sich nicht um eine exakte Darstellung des Planetensystems handelt, denn Merkur und Venus fehlen. Außerdem müßten alle Planeten nahezu in einer Ebene liegen, in der Ebene, die durch das Band der Tierkreissternbilder markiert wird. Die dargestellten Bahnen verlaufen jedoch in völlig unterschiedlichen Ebenen. Spätestens jetzt zeigt sich, daß es sich um eine symbolische Darstellung des Himmels handelt. Es werden Elemente der Antike aufgegriffen (die Ringe erinnern an die Armillarsphäre) und moderne Erkenntnisse eingearbeitet (der Ring des Saturn und die Monde der Planeten). Es handelt sich also um eine frei gestaltete künstlerische Darstellung des Sonnensystems.

Um dieses Kunstobjekt genauer zu betrachten ist mindestens ein Opernglas erforderlich. Die besten Sichtbarkeitsbedingungen bestehen in den Morgenstunden oder am späten Nachmittag, da dann die Sonne etwas in die Sphäre hineinscheint und nicht die Details im Gegenlicht verschwinden.

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